Wieder scheitert ein Buch mit dem Versuch, die Mittäterschaft der Nazis zu beweisen. Bislang unbekannte Dokumente werden nicht vorgelegt Seite 1 von 1
Rezension zu: Alexander Bahar und Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand - Wie Geschichte gemacht wird
erschienen im General-Anzeiger Bonn, am 23. Juni 2001
Tatsächlich jedoch bieten die 863 Seiten dieses Bandes substanziell nichts Neues, das gegen die in der deutschen Geschichtswissenschaft herrschende Auffassung von der Alleintäterschaft van der Lubbes sprechen könnte. Bahar und Kugel stellen keine sich aus einzelnen Beweisen für eine NS-Mittäterschaft zusammensetzende Indizienkette auf. Sie reihen vielmehr Hypothesen, einseitige Behauptungen, Unterstellungen, Spekulationen, Zufälligkeiten, isolierte Vermutungen bis hin zu Phantastereien oder zweckbedingte Deutungen aneinander, die in ihrer Fülle eine NS-Täterschaft oder -Urheberschaft suggerieren sollen. Bei dem Anliegen, das die Autoren verfolgen, wäre ein Dokumentenanhang zwingend erforderlich; neue Dokumente zur Stützung der Ausführungen werden aber, wie gesagt, nicht vorgelegt. Stattdessen wird all das kompendienhaft zusammengefasst und weitergeführt, was in den bald 70 Jahren seit dem Brand von den Anhängern der NS-Urheberschaftsthese je hervorgebracht worden ist - samt Klitterungen und Fälschungen.
Bahars und Kugels Werk schließt in seiner Quintessenz an die beiden "Braunbücher" an, die 1933 und 1934 in Paris von einer deutschen kommunistischen Emigrantengruppe um Willi Münzenberg verfasst und verlegt wurden. Diese Bücher enthielten in Bezug auf den Reichstagsbrand und die NS-Urheberschaftsthese erwiesenermaßen frei erfundene Konstruktionen und Falschdarstellungen.
Einen idealen Nährboden für Legenden bildete bereits 1933 der schmale Tunnel, der vom Maschinen- und Kesselhaus her das Reichstagsgebäude mit dem Reichstagspräsidentenpalais verband und durch den Versorgungsleitungen liefen. Präsident des Reichstages und somit Nutzer des Reichstagspräsidentenpalais war seit August 1932 Hermann Göring, als Vertreter der stärksten Parlamentsfraktion, der Nationalsozialisten. Dieser unterirdische Verbindungstunnel gilt als unerlässliche Rahmenbedingung für eine angebliche Täterschaft der Nationalsozialisten.
Zwangsläufig gipfelt somit auch das Buch von Bahar und Kugel in der kolportierten Legende der "Braunbücher" und deren "Pokerbluff" (Arthur Koestler): Ein Kommando von drei bis zehn SA-Leuten, so wird fabuliert, sei am Abend des 27. Februar in den Keller des Reichstagspräsidentenpalais geklettert und von dort aus unter Mitnahme der dort oder im Tunnel bereits seit Herbst 1932 deponierten großen Mengen Brandmittel in das Reichstagsgebäude eingedrungen. Hier habe das Kommando vor allem den Plenarsaal präpariert, danach sich durch den Verbindungsgang zurückgezogen. Göring habe sehr früh und allein, "wahrscheinlich, um den Rückzug der Brandstiftertruppe zu decken", das brennende Reichstagsgebäude betreten. Beweise für die Mitwisserschaft Görings sind freilich nie gefunden worden und werden auch von den Autoren nicht erbracht. Auch auf die Deponierung von Brandmitteln und die Benutzung des Tunnels durch die SA gibt es, so die Quellenlage, keinen einzigen zeitgenössischen Hinweis.
Jene, die zu dieser Zeit im Präsidentenhaus lebten, konnten nichts Derartiges bezeugen. So wohnte im Erdgeschoss der Direktor beim Reichstag, Reinhold Galle, ein überaus korrekter, konservativ eingestellter Beamter, den Göring im Juni 1934 seines Amtes enthob. Und im Sockelgeschoss hatte die Aufseherin des Präsidentenhauses, Frieda Puschke, ebenfalls keine Anhängerin des Nationalsozialismus, den Eingang zu ihrer kleinen Dienstwohnung gegenüber der Tür, die zur Kellertreppe und damit zum Tunnel führte. Doch weder Galle noch Puschke haben die angeblich wochenlang eingelagerten Brandmittel gesehen oder am Abend des 27. Februar die SA-Leute im Palais bemerkt. Das gilt auch für die Techniker, die die durch den Tunnel verlaufenden Versorgungsleitungen warteten. Göring selbst wohnte im Übrigen nicht im Palais, sondern in einem Haus am Kaiserdamm.
Bei der Feststellung der Brandursache kommt den Gutachtern eine entscheidende Bedeutung zu. Die Sachverständigen, die den Brand im Reichstagsgebäude 1933 zu untersuchen hatten, besaßen keine ausreichenden Kenntnisse über die leichte Entflammbarkeit des Plenarsaals. Demzufolge findet sich darüber auch nichts in ihren Gutachten. Bahar und Kugel weisen darauf nicht hin. Ohne die Wissenslücke in den Gutachten wären wahrscheinlich nie Zweifel an der Einzeltäterschaft van der Lubbes aufgekommen. Das war aber nicht im Sinne der NS-Führung, die von vornherein von mehreren Tätern ausging. Die Kommunisten taten das ebenfalls.
Richtig ist, dass die Nationalsozialisten den Brand sofort als Vorwand nutzten, um gegen ihre politischen Gegner loszuschlagen, allen voran gegen die Kommunisten, denen sie die Tat unterstellten. Andererseits befürchteten sie aber auch sehr, dass ihnen das Gerücht, sie selbst seien die Brandstifter gewesen, schaden könnte. Es war im Machtbereich Görings, der ja nicht nur Reichstagspräsident sondern ab 1933 auch preußischer Ministerpräsident und Innenminister war, lebensgefährlich, zu verbreiten, die Nazis seien die Täter gewesen. Den Befehl zur Brandlegung hätte im entstehenden "Führerstaat" ohnehin nur Hitler geben können. Das war offensichtlich nicht der Fall. Im Gegenteil: Hitler wurde von dem Brand überrascht. Für ihn war das Reichstagsgebäude als Symbol seines "Sieges" verehrungswürdig. Noch im Frühjahr 1941 widersprach er heftig Albert Speer, als dieser vorschlug, das historische Parlamentsgebäude im Zuge der Neubebauung der Reichshauptstadt niederzureißen.
Bahar und Kugel gehören zu einer kleinen Autorengruppe, die seit Mitte der 70er Jahre periodisch immer wieder in Aufsatzpublikationen, zuletzt 1999 in der "Historischen Zeitschrift" und jetzt in dem Buch, ihre Thesen darstellt. Sie gibt dabei vor, immer neue Dokumente, die eine NS-Täterschaft beweisen würden, aufgefunden und verwendet zu haben. Es wird aber nicht ersichtlich, worin diese Aktenfunde und die angeblich neuen historischen Erkenntnisse eigentlich bestehen. Daraus ist zu schließen: Es gibt sie nicht.
Bezeichnend ist vielleicht der farbige Bucheinband, der unkommentiert eine gefälschte Fotografie von einem in Flammen gehüllten mittleren Teil des Reichstagsgebäudes wiedergibt. Im "Bildnachweis" wird die Herkunft verschwiegen. Die Retusche ist - vermutlich 1933 - von den Nazis oder den Kommunisten, die sich gegenseitig der Tat bezichtigten, zur Aufbauschung des Brandes angefertigt worden. Fakt aber ist, dass die Feuerwehr das Feuer nach drei Stunden unter Kontrolle hatte und dass lediglich der Plenarsaal und sein Seitengang zerstört sowie die Kuppel beschädigt worden waren.
Der von den Autoren nicht erklärte Untertitel des Buches "Wie Geschichte gemacht wird" soll vermutlich besagen, dass die deutsche Geschichtsschreibung, in der die Alleintäterschaft van der Lubbes als anerkannt gilt, weil sie ein Höchstmaß an Plausibilität besitzt, die Geschichte verfälscht habe. Ein seltsamer Vorwurf von Autoren, deren Werk selbst von Legenden lebt.
Alexander Bahar und Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand - Wie Geschichte
gemacht wird.
Edition q im Quintessenz Verlag, Berlin, 2001. 863 Seiten,
68 DM.